Split Screen

Kurzgeschichte zum Thema „Kontakt“, 2020

 

„Rufen sie mich doch wieder an!“
„Jaja, das werde ich machen.“
„Dann is ja gut. Auf Wiederhören!“
„Ja, dann ist gut. Auf Wiederhören.“

An beiden Enden der Telefonleitung legt jeweils ein klappriger alter Mann den Hörer auf das Wählscheibentelefon. Kein Mobiltelefon, kein Tastentelefon. Wirklich eines dieser Dinger mit Wählscheibe. Bei diesen Geräten muss man auch swipen, man nennt es bloß nicht so. Der Finger muss dabei halt in der Scheibe hängen. Wie die alten Herren es geschafft haben so ein Telefon über die Jahrzehnte funktionstüchtig zu halten? Egal, sie haben es irgendwie geschafft. Beide legen die Hand wieder auf die Armlehne des Ohrensessels, wo sie auch davor gelegen hatte. Der eine auf die Armlehne des Sessels mit dem roten Bezug und der andere auf den Sessel in Dunkelgrün, der nicht nur vornehmer aussieht, sondern dessen Bezug viel samtiger ist, ganz weich zum Anfassen. Da beiden Armlehnen aus Holz sind, merkt das weder der Klappermann mit Glatze noch der mit Brille. Im Fernsehen würde man sie am liebsten in einem Split Screen sehen. Eine Errungenschaft der 70er? Vielleicht ist „Errungenschaft“ für diese technische Weiterentwicklung eines Fernsehbildes eine eigenartige Formulierung, die es noch dazu möglicherweise schon viel früher gab. Zumindest beliebt war das in den 70ern! Die Synchronizität dieser beiden alten Herren wäre damit sicher hervorragend wiedergegeben worden. Ehrenwort. Der kleine Spalt zwischen den beiden Aufnahmebildern hätte wie ein Spiegel fungiert. Ein unsichtbarer Spiegel. Oder ein venezianischer Spiegel, wie es ihn in Verhörräumen gibt? Nein. Das wäre dann einseitig. Obwohl das könnte wiederum die Gleichartigkeit der Bewegungen erklären. Das einzige was man jedenfalls ändern müsste, wäre den Herrn mit der Glatze spiegelverkehrt zu zeigen. Sonst würden beide in dieselbe Richtung schauen. Im Split Screen wäre es irritierend, wenn sie sich anschauen und genau das würde die Spannung erhöhen. Sie blicken in die Richtung des jeweils anderen. Sehen tun sie sich dann doch nicht wirklich, logo. Die Illusion dessen käme bei den Zusehern sicher auf.

Da, sieh her! Eine Bewegung! Aufgestanden sind sie. Haben wohl das Telefonat kurz sickern lassen um sich jetzt wieder anderen Beschäftigungen zuzuwenden. Dabei haben die doch nichts mehr zu tun. Können sich beide auf den Beinen halten in diesem hohen Alter, Hut ab! Es riecht nach Aniskeksen. Wer wohl auf die absurde Idee von Aniskeksen gekommen ist? Welche Hausfrau hat diese gemeine Süßigkeit erfunden, die den Kindern keine Freude macht? Der Duft der Kekse steigt den beiden Tatterkreisen in die Nase und die Mundwinkel verziehen sich nach oben. Die beiden mögen diese Komischheit von Keks. Geht in Ordnung, jetzt sind sie schon mal da, da können sie auch gegessen werden.

Ohrensessel, Wählscheibentelefon, Aniskekse. Als wäre man in einer anderen Welt. Wie sah die sonst aus? Schwer zu sagen in diesen halbdunklen Wohnzimmern, in denen das einfallende Licht von viel zu großen Blumenstöcken abgehalten wird. Gehen die noch raus in den Garten? Kämen die dann wieder aus eigener Kraft rein? Vielleicht versteckt sich in den Wohnzimmern irgendwo eine Keks- nein, Gehhilfe. Rollator nennt man das heute. Damals auch schon? Ein Keks fällt auf den abgetretenen Teppichboden und beim Bücken sieht die Brillenschlange, dass das offensichtlich schon öfters passiert ist. Oder sind es Sägespäne? Welche Wahrscheinlichkeit ist höher?

Er hebt das Keks auf während Mr. Glatze auf der anderen Seite des Monitors bereits an einem weiteren Keks knabbert. Ha! Divergierende Handlung! Gesehen, festgestellt, wird notiert! Trotz spiegelverkehrtem Bild alles kapiert.

Der Ohrensessel. Es wird auf beiden Seiten wieder darauf Platz genommen. Ein leerer, fast suchender Blick in die Luft. Der Herr mit Brille greift zum Telefon, Finger in die Wählscheibe. Swipe. Swipe. Swipe. Swipe. Swipe. Swipe.
Sechsstellig. Eine Festnetznummer im selben Ort.

„Hallo?!“
„Hallo. Ich grüße sie.“
„Ich grüße sie!“

michi